Interview mit Neil Archer, Bristol Myers Squibb Deutschland - Handelsblatt Live (2024)

Die biopharmazeutische Forschung bringt Deutschland voran: Nicht zuletzt die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, welchen gesellschaftlichen Nutzen und Wert medizinische Forschung und daraus resultierende Innovationen haben können. Sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, wie die Therapielandschaft der Zukunft aussehen wird. Laut des Branchenreports „Medizinische Biotechnologie 2021“ im Auftrag des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland (vfa) kam im vergangenen Jahr fast jede zweite Neuzulassung aus dem Bereich biotechnologischer und biopharmazeutischer Forschung (insgesamt 45 %). Dabei ziehen personalisierte Therapien (auf Basis patient:innenindividueller oder genetischer Informationen) immer häufiger in den Behandlungsalltag ein. Das Potenzial scheint immens, was die Bedeutung des Forschungsstandortes Deutschland unterstreicht, geht aber auch mit neuen Herausforderungen für Pharmaunternehmen und unser Gesundheitssystem einher.

Im Vorfeld der diesjährigen Handelsblatt Jahrestagung Pharma 2022 teilt Neil Archer, Geschäftsführer bei Bristol Myers Squibb in Deutschland, im Interview seine Sicht darauf, welchen Beitrag forschende Pharmaunternehmen zu einer nachhaltigen Wertschöpfung leisten und was nötig ist, um das Leben sowie die Prognose für Patient:innen mit schweren Erkrankungen wie Krebs, Herz-Kreislauf- bzw. chronischen Entzündungserkrankungen in Zukunft weiter verbessern zu können.

Herr Archer, reden wir über die Medizin der Zukunft. Es werden immer mehr personalisierte oder sogar individualisierte Therapien entwickelt. Megatrends wie Digitalisierung und Big Data beeinflussen medizinische Innovationen. Wie wird die Therapielandschaft in ein paar Jahren aussehen, und welche Rolle spielen forschende Pharmaunternehmen in diesem Zusammenhang?

Wenn ich mir das dynamische Tempo unserer Branche ansehe, sicherlich eine große Rolle. Medizinische Innovationen haben in der Vergangenheit schon oft die bisherige Therapielandschaft innerhalb weniger Jahre revolutioniert. Gerade das macht unsere Arbeit im Bereich Arzneimittelentwicklung so spannend. Forschende Pharmaunternehmen treiben diesen medizinischen Fortschritt voran – dies geschieht zunehmend in Zusammenarbeit mit strategischen Kooperationspartnern und im Rahmen von Partnerschaften mit kleineren Biotechs, Start-ups und Kompetenzzentren.

Davon profitieren nicht nur Betroffene und ihre behandelnden Ärzt:innen, sondern auch der Wirtschaftsstandort Deutschland, etwa durch die Schaffung und den Erhalt von hochwertigen, zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. Damit wir hierzulande im Bereich der Spitzenforschung konkurrenzfähig bleiben, müssen auch in Zukunft weiterhin die lokalen und politischen Rahmenbedingungen gegeben sein.

Können Sie für den wertschöpfenden Beitrag der forschenden Pharmaunternehmen ein paar aktuelle Beispiele nennen? Woran machen Sie das fest?

Wir haben im Kampf gegen Krebs große Fortschritte gemacht. Bei vielen Tumorerkrankungen kann Betroffenen bereits heute ein längeres Leben mit verbesserter Lebensqualität ermöglicht werden. So stieg zum Beispiel die Fünf-Jahres-Überlebensrate beim schwarzen Hautkrebs von unter 60 Prozent in den 1970er Jahren auf inzwischen rund 90 Prozent. Möglich wurde dies nicht zuletzt durch immunonkologische Therapien, die es nun seit zehn Jahren gibt. Sie nutzen die Kraft des körpereigenen Immunsystems, um Krebs zu bekämpfen.

Oder schauen wir auf die mRNA-Technologie, die uns binnen eines Jahres in Deutschland die Entwicklung eines ersten neuartigen Impfstoffes gegen das SARS-CoV-2-Virus ermöglicht hat. Auch die Anzahl Schlaganfall-bedingter Todesfälle ist hierzulande seit Mitte der 90er Jahre deutlich gesunken. Dazu hat neben verbesserten Präventionsmöglichkeiten sicherlich auch die Entwicklung innovativer Arzneimittel beigetragen und wird dies – zum Beispiel auch im Bereich chronischer Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen – in Zukunft weiter tun.

All das sind Beispiele dafür, wie die Pharmabranche in relativ kurzer Zeit eine beachtliche und nachhaltige Wertschöpfung für die Gesellschaft erbringen und das Leben von schwerkranken Betroffenen verlängern, verbessern oder gar retten konnte. Aber das ist noch nicht genug: Statistisch betrachtet erkrankt in Deutschland bereits jetzt jeder Zweite im Laufe seines Lebens an Krebs, und einer von vier Betroffenen stirbt frühzeitig daran. Durch eine immer älter werdende Gesellschaft wird die Zahl der Krebsfälle voraussichtlich weiter zunehmen. Es ist daher unser Ziel, durch Erfolge bei der Krebsbekämpfung dazu beizutragen, die Prognose für Betroffene weiter zu verbessern und zu mehr Überlebenszeit beitragen zu können.

Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für die Zukunft und welche Rolle spielen personalisierte Therapieansätze in diesem Zusammenhang?

Wir haben in Deutschland seit jeher ein starkes und innovationsgetriebenes Gesundheits-Ökosystem, das beständig neue Medikamente hervorbringt und Innovationen in der Regel vom ersten Tag ihrer Zulassung an für Patient:innen verfügbar macht. Dieses System muss aber auch in Zukunft leistungsfähig bleiben. Möglich ist dies nur, wenn wir kontinuierlich in medizinische Forschung investieren und Forscher:innengeist honorieren, um den Innovationszyklus aufrecht zu erhalten. Die Digitalisierung hat hierbei eine mögliche Katalysatorfunktion: Durch die Sammlung und Analyse großer Mengen medizinischer Daten sowie den Einsatz von künstlicher Intelligenz und digitalen Technologien können wir beispielsweise Medikamente für Patient:innen maßgeschneiderter und schneller entwickeln.

Besonders große Hoffnungen liegen auf patient:innenindividuellen Lösungen auf Basis von innovativen Gen- und Zelltherapien, um beispielsweise weitere Krebsarten, aber auch neurologische Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson in Zukunft besser behandeln zu können. Dabei verfolgen beide Ansätze eine ähnliche Idee – schwere Erkrankungen zu therapieren und irgendwann hoffentlich vollständig zu heilen, indem betroffenen Patient:innen neue Zellen oder DNA zugeführt werden und die zugrundeliegenden Ursachen somit unmittelbar beseitigt werden können.

Ein aktuelles Beispiel ist die Zelltherapie. Die nächste Generation personalisierter Therapieoptionen beeinflusst das Immunsystem von Patient:innen genetisch so, dass es Blutkrebszellen noch wirksamer erkennen und bekämpfen kann. Dies hat das Potenzial, die Behandlung grundlegend zu transformieren und damit Patient:innen im Kampf gegen Krebs ganz neue Perspektiven zu eröffnen. Unsere gemeinsame Verantwortung ist es dabei aber auch, dass wir derartige medizinische Innovationen transparent, korrekt und eingängig erklären, um potenzielle Vorurteile und Ängste gegenüber neuartigen Ansätzen abbauen zu können.

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Author: Lidia Grady

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